Haydn vs. Mozart – Round 2

boxkampf11Die beiden Komponisten sprechen eine gemeinsame musikalische Sprache. Und es gibt viele Gründe, warum unerfahrene Hörer es schwer finden sie auseinander zu halten.
Haydn und Mozart waren beide Österreicher, die einen Großteil ihres beruflichen Lebens in Wien verbrachten. Zwar eine Generation getrennt, aber Mozarts 35 Jahre gingen vollständig innerhalb Haydns 77 Jahren auf.

Und es gab Familienverbindungen: Michael Haydn, Joseph’s jüngerer Bruder, ebenfalls ein Musiker, lebte und arbeitete in Salzburg, wo Mozart geboren wurde und aufwuchs. Er war ein Freund der Familie Mozart, und Mozarts Werk für zwei Violinen war ursprünglich ghostwritten um Michael einen Gefallen zu tun, der, so heißt es, dem Alkohol verfallen war.

Die beiden großen Komponisten wussten voneinander, es sollten aber viele Jahre vergehen, bevor Sie sich trafen. Wie Haydns jüngerer Bruder berichtet, las Haydn alle Berichte über das Wunderkind Mozart. Und als Mozart zum Manne reifte, war Haydn bereits einer der bekanntesten Komponisten Europas, dessen Partituren zu kennen, für jeden ernsthaften zeitgenössischen Musiker zum guten Ton gehörte.

Später waren beide Mitglieder der gleichen Freimaurerloge in Wien und wurden Freunde sowie gegenseitige Bewunderer. Das letzte ist bemerkenswert, vor allem mit Bezug auf Mozart, der sich oft vernichtend über Kollegen ausließ. Von Haydn jedoch sprach er mit Ehrfurcht. Seine sechs großen Streichquartette widmete er dem älteren Komponisten, die teilweise  bestätigen wie viel er von Haydn´s Kompositionen gelernt hat. Von den Haydn-Quartetten wird gesagt, sie seien wiederum von Mozart-Quartetten beeinflusst. Nach Mozarts Tod ging Haydn dazu über nur noch Streichquartette zu schreiben, u.a. mit der Begründung, so heißt es, dass Mozarts Genialtät auf dem Gebiet der Oper unübertrefflich sei.

Unter Berücksichtigung ihrer Freundschaft und ihrer gegenseitigen Beeinflussung, ist es nicht verwunderlich, dass ihre Musik für gewöhnliche Ohren ähnlich klingt. Dennoch, hört man genau hin, erkennt man ihre  individuellen Stimmen, ihre Persönlichkeiten und ihre Temperamente als sehr unterschiedlich.

Einer der Unterschiede ergibt sich aus dem sozialen Umfeld. Haydn, der Sohn eines Wagenbauers, wuchs auf dem Lande in bäuerlichen Verhältnissen auf. Mozart dagegen war ein Stadtbewohner. Sein Vater war akademisch und obwohl er eine  Ausbildung als Anwalt hatte, zog er eine musikalische Laufbahn vor. Er war auch Autor des Bestsellers: „Die Kunst des Geige spielens.“ Salzburg war zwar eine Provinzstadt, doch die Mozarts waren sehr anspruchsvoll und gutsituiert.

Ein Privileg in der damaligen Zeit ist die Eleganz und der Witz in Mozarts Musik. Eigenschaften, die über fast allem anderen standen. Und Haydn, trotz seiner ländlichen Herkunft, stand dem nichts nach. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, elegant und witzig zu sein. Oscar Wilde und Mark Twain besaßen beide Eleganz und Witz, aber niemand würde den Fehler begehen, trotz des naheliegenden Zeitabschnitts, sie miteinander zu vergleichen.

Betrachten wir zwei symphonische Menuette etwas genauer: eines von Haydn Symphonie Nr. 92, eines von Mozart Symphonie Nr 36. Das Menuett ist ein höfischer, aristokratischer Tanz, dem beide in ihrer Art zu komponieren treu blieben. Aber Haydns Beispiel ist jedoch rauer, härter, wie Männer, die nicht in vornehmen Zimmern hocken, sondern mit Schlamm auf  ihren Stiefeln herumlaufen. Mozart  hingegen wirkt geschmeidiger, feiner und reibungsloser.

Die Musik der beiden Komponisten ist durchsetzt mit Witz. Aber auch hier unterscheiden sie sich. Haydn ist nicht nur witzig, er ist lustig, ein Schelm immer zu einem Spass aufgelegt. Einer der vielleicht berühmtesten Gags in der Musik stammt aus dem zweiten Satz seiner 94. Symphonie. Es ist fast Slapstick: Zuerst lullt er uns in Trance und dann, wenn wir es am wenigsten erwarten, schlägt er uns eins über den Kopf. Man findet aber auch rhythmische Spielereien oder bezaubernde Soli, übrigens eine Spezialität Haydns.

Mozart ist in der Lage sein komisches Talent in Opern auszuleben. Er schrieb Stücke voll von Witzen, sowohl tiefsinnige als auch sehr alberne, eindeutig dem musikalischen Spass zuzuordnen. Im allgemeinen besteht sein Witz aus anderen Attributen. Ein Spiel lebhafter Ideen, geistiges Jonglieren, schillernde Geschwindigkeit und Geschick, was dem Zuhörer wahrscheinlich eher ein leichtes Lächeln als lautes Lachen abverlangt.

Leicht zu überhören ist eine  kleine Passage aus dem Rondo des 23. Konzert für Klavier und Orchester. Sie ist in ihrer Essenz nicht mehr als eine funktionale Verbindung,  die uns innerhalb von 10 Sekunden von einem Ort zum anderen trägt; aber gleichzeitig so reich und amüsant, so voll von Energieströmen, nicht bestimmend, sondern unerbittlich kämpfend. Stotternd klettert die Weise auf dem Klavier bis zur Note „E“ hoch. Heimlich, wie vom Wind getragen kommen die natürlichen Signale in „D“ daher. Die Passage gleicht der Komik von Taschenspielern.

Den letzten Unterschied zu erklären scheint am schwierigsten. Letztlich werden die meisten sagen: “ Haydn ist ein großer Künstler“, und wie bei den meisten großen Künstler ist sein emotionales Spektrum breit gefächert. Aber er ist auch einer der vernünftigsten und ausgewogensten Komponisten, dessen Absichten  immer klar sind –  egal wie verspielt oder genial. Seine Werke sprühen vor Fröhlichkeit und es ist verdammt lustig, wenn er Emotionen und Gefühle in seiner Musik spiegelt.

Mozart ist anders, und wenn Musik-Liebhaber das Adjektiv Mozart hören, dann  verbinden Sie dies mit einer Klangwelt, in der Emotionen einen Schimmer von Unklarheiten eigener Gegensätze beinhalten. Als Beispiel sei erwähnt, die Ouvertüre  im ersten Satz des Streichquintettes in D-Dur. Ist die Ouvertüre des Cello eine Behauptung, oder eine Frage? Ist die Reaktion der vier anderen Saiten Trost oder Verzweiflung? Hört das Cello auf die Antwort, oder eben nicht?  Unmöglich, sicher zu sein.

Nun noch ein Beispiel einer außerordentlichen Ouvertüre eines anderen Quartetts von Mozart, dass er Haydn gewidmet hat. Was um Himmels willen ist da los?  Was sind das für schmerzhafte, ungelöste Dissonanzen,  falsche und harmonischen Beziehungen? Viele Käufer dieser Partitur glaubten an einen Druckfehler wollten vom Verlag eine Rückerstattung. Als Haydn einige Jahre nach Mozarts Tod gefragt wurde, was er von dieser Passage halte, sagte er Ähnliches wie:  „Wenn Mozart dies komponiert hat, muss es stimmen!“ Eine weitere Passage gegen Ende des mittleren Satzes, weist ein paar unheimliche Takte auf, geisterhafte Unruhe, seltsam klingender Dialog zwischen Klavier und Fagott mit einem Hauch von Spott und respektloser Heiterkeit.

Und noch ’n Gedicht, die Hochzeit des Figaro: Rausch, Verwirrtheit, tobende Hormone. Es ist alles da, und eine unwiderstehliche Melodie von schmelzender Schönheit.

Was hat das alles zu bedeuten? War Mozart in gewisser Weise ein besserer Komponist als Haydn?
Dazu zwei widersprüchliche Antworten auf diese Frage. Die erste ist: Nein, in dieser Stratosphäre gibt es nicht besser, es gibt nur verschiedene Wege genial zu sein. Die zweite Antwort kann man nur vermuten und wahrscheinlich mit einer Mehrheit von Musik-Liebhabern teilen: Ja, natürlich. Mozart steht für sich allein.

Doch die Antworten sind zum Teil davon abhängig, was man sucht.

Welche Musik würde wohl im CD-Player landen, will man Dämonen im Kopf vertreiben, möchte man wieder in ein emotionales Gleichgewicht gelangen? Da möchte ich doch ohne Zögern antworten: „ein Haydn Quartett“ – alle Haydnquartette.

(Quelle: Erik Tarloff)

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