Die Decken konnte man dieses Jahr bei der Premiere von My Fair Lady in Mörbisch getrost zu Hause lassen. Während das Stück eigentlich im London des Jahres 2018 (Original 1912) spielt, passte das tropische Wetter so gar nicht zum typischen englischen Klima. Doch wer braucht schon englisches Wetter, wenn man die Seefestspiele im burgenländischen Mörbisch besucht?
Besonders die Damenwelt der heimischen Stars und Sternchen war über die warme Sommernacht sichtlich amused, konnte man doch endlich mal das neue „Hauch von Nichts“ oder das „Bauchfreie“ am Premierenabend ausführen. Alfons Haider kam dagegen noch mehr ins Schwitzen, konnten sich seine Premierengäste doch kaum von den erfrischenden Getränken losreißen. Nach den typischen Begrüßungen der heimischen und überregionalen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Prominenz und (wie immer) last but not least von Richard Lugner, konnte man – spät aber doch – endlich starten.
Und schon befindet man sich mitten im quirligen Geschehen eines authentisch gestalteten London, Schauplatz Tottenham Court Road Station und würde am liebsten bei der nächsten U-Bahn einsteigen, die hier im Hintergrund alle paar Minuten abfährt. Es ist das London im Jahre 2018 und das ist wichtig zu wissen, damit man zeitgenössisches Geschehen, das den modernen Charakter der Aufführung unterstreicht, einordnen kann.
Wienerisch versus Cockney
Erste Szene, Auftritt der Blumenverkäuferin Eliza Doolittle. Mit grünen Haaren und zerrissenen Jeans verkörpert sie eine junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die den täglichen Überlebenskampf zwischen U-Bahn-Station und dem Leben auf der Straße meistert, sich aber dennoch den Traum von einem unabhängigen, selbst bestimmten und besseren Leben bewahrt hat. Das markante an ihr ist nicht nur die eigenwillige, äußere Erscheinung sondern auch ihre Sprache, ein „strenger“ Akzent mit ebenfalls eigenwilliger Wortwahl. Es handelt sich hier aber nicht um das sog. Cockney English, dem ganz eigenen Londoner Slang (Originalversion), sondern hier spricht die Hauptdarstellerin ein „tiafes Wienerisch“. Und es ist nicht nur das „Bäm“ und „Wos“, was einem nur all‘ zu bekannt vorkommt, wenn man in dieser Region lebt, sondern es sind auf der anderen Seite auch die Namen der Orte East-Simmering, Heartburgh oder Brook Under Moore, die man dermaßen „verenglischt“ mit einem Schmunzeln wieder erkennt.
Nun trifft diese moderne Eliza auf Prof. Higgins, einem berühmten Phonetiker, der so derbe Sprachen, wie Eliza sie spricht, mehr als alles andere verabscheut. Sie aber sieht in Higgins den Schlüssel zu einem besseren Leben. Higgins soll sie unentgeltlich unterrichten, dafür stellt sie sich für ein Experiment zur Verfügung. Aus dem „U-Bahn-Girl“ soll in nur 6 Monaten eine feine Dame der besseren Gesellschaft werden – gleichzeitig eine Wette zwischen Higgins und seinem guten Freund Hugh Pickering, ebenfalls Sprachwissenschaftler.
Das Experiment veranschaulicht zum einen, was Bildung bewirken kann. Zum anderen wird aber auch gezeigt, wie wichtig das Recht von Frauen auf Chancengleichheit ist, in dem Eliza nicht nur als selbstbewusste Frau aus dem Versuch hervorgeht, sondern sich am Ende auch von ihrem Lehrer unabhängig macht, der ihr zu lange nicht die selbstverständliche Wertschätzung für sie als Mensch und Frau entgegenbringt. Damit entspricht das Stück damals noch ein wenig mehr wie heute nach wie vor dem Zeitgeist, auch ganz im Sinne des Erschaffers der Romanvorlage George Bernhard Shaw, der sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts für die Emanzipationsbewegungen in London einsetzte.
Bei der diesjährigen Inszenierung von My Fair Lady in Mörbisch schafft man es, nicht nur den Stoff der Originalfassung von der Zeit um 1912, gekonnt in die Jetzt-Zeit zu katapultieren, sondern es ist auch geglückt, regionale Eigenheiten harmonisch und mit Witz in die Handlung einfließen zu lassen. Wobei die Wahl der Darstellerinnen und Darsteller bereits im Vorhinein erfolgsversprechend sein sollte. Allen voran Anna Rosa Döller als Eliza, bereits aus der vorjährigen Mamma Mia! Produktion bekannt, die die Verwandlung vom „U-Bahn Girl“ zur unabhängigen Frau glaubwürdig dem Publikum näher gebracht hat – noch dazu mit all‘ dem hin-und her-switchen zwischen Wienerisch und Hochdeutsch. Mark Seibert, DER deutsche Musicalstar mit Ausbildung in Wien und auf internationalen Musicalbühnen erfolgreich unterwegs, verkörpert die Rolle des egozentrischen Prof. Henry Higgins in dieser Musical-Fassung perfekt, vor allem weil er dem modernen Charakter der Inszenierung entspricht und nicht etwa dem etwas verstaubten Prof. Higgins im Film, dem man den Part in einer möglichen Liebesbeziehung zu seiner Schülerin sowieso nicht richtig abnimmt. Dominik Hees als Freddy Eynsford-Hill, der seine Liebe zu Eliza mit toller Stimme rüberbringt und Lebensfreude pur ausstrahlt. Einer der durch den ganzen Abend stets für Witz und Komik gesorgt hat, ist Herbert Steinböck. Die Rolle als Elizas Vater Alfred Doolittle ist ihm wie auf den Leib geschrieben.
Wenn die Queen auf a Gulasch vorbeikommt
Und „wenn dann noch die Queen auf a Gulasch vorbeikommt…“, dann ist die englisch-wienerische Inszenierung perfekt geglückt. Als Überraschung und mit einer gewissen Situationskomik hat Dolores Schmidinger, bestens bekannt aus der Wiener Urgestein-Serie „Ein echter Wiener geht nicht unter“, als englische Königin ihren genialen Auftritt in Mörbisch; auch als kleiner Trost und Erinnerung an den Inbegriff der englischen Monarchie.
Ein absolutes Highlight am diesjährigen Premierenabend in Mörbisch war aber die Musik. Durch den Sound der Melodien im Stil des klassischen Broadway-Musicals der goldenen Ära war das Seefestspiel-Orchester, das stets im Verborgenen spielt, präsenter denn je und hatte einen extra Applaus verdient. Daher ist es ein kleiner Wehmutstropfen, dass am Ende nach nur gefühlten 5 Minuten Beifallklatschen und den ersten Standing Ovations, das jubelnde Publikum für die Ankündigung des nächsten Programms jäh‘ „unterbrochen“ wurde. Kein weiteres Verbeugen, kein Klatschen, keine Zugabe. Die Werbung für Saturday Night Fever 2025 auf der Seebühne hätte noch ein bisschen warten können.
Titelbild: Herbert Steinböck, Steven Armin Novak, Jonathan Metu, Jelle Wijgergangs, Julius P. Williams III, Ensemble © www.kurtpinter.com
Schade, dass Alfons Haider am Ende des Musicals die Standing Ovations verhinderte, indem er nichts Besseres wusste, als Werbung zu machen schon fürs nächste Jahr. Daher bleibt leider ein komischer Nachgeschmack. Über den Kurzauftritt der „fast“ nackterten Boygroup lässt sich streiten