Corona hin, Corona her, der Wendler würde sagen „Egal.“ Wir wollen doch nur alle wieder ans Meer. Möchten Balkonien und Terassolo tschüss sagen. Ob allerdings „Ferien Neu“ mit dem alten Urlaub mithalten kann, klebt bestenfalls am Boden einer strapazierten Kaffeetasse. Die Reiseveranstalter hoffen. Aber auf was eigentlich? Dass es heuer noch einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben wird? Die Chancen dafür stehen nicht gut. Der eine will reisen, der andere vermitteln.
In ganz Europa warten Hoteliers und Wirte auf Gäste. Der Tourismus muss angekurbelt werden. Fremdenverkehrsprofis kreieren dazu mitunter abstruse Ideen. So sollen an einem Adriastrand Glasboxen aufgestellt werden, von welchen aus die Urlauber aufs Meer hinaus schauen können – da brutzelt das Gehirn weg. Oder: der Gast soll von zu Hause aus im Livestream zusehen, wie schön die Wellen am Tsambika Beach gegen die Felsen schlagen. Das einzige was ich sehe, ist eine Holzpritsche mit meinem Nachbarn drauf. Alle Viere von sich gestreckt. In der einen Hand das Bier in der anderen das Notebook.
Nein, so stellen wir uns einen erholsamen, schönen, erlebnisreichen, fantastischen Urlaub nicht vor. Ein Jahr lang jeden Cent gespart. Und dann sowas. Lieber Wendler, das ist nicht „Egal“!
Die Menschen haben es satt in den eigenen vier Wänden herumzustreifen. Sie wollen raus in die Natur. Einen echten Sand unter den Füßen spüren. Die Seeluft einatmen. Im Restaurant Tapas essen und aufs Meer sehen. Aber ist sowas in absehbarer Zeit überhaupt möglich? Eine, die weiß was auf uns zukommt, ist Elisabeth Kneissl-Neumayer. Sie ist Geschäftsführerin des Reiseveranstalters Kneissl Touristik.
Frau Kneissl-Neumayer – werden wir 2020 noch ans Meer fahren?
Kneissl-Neumayer: 2020 wird nichts so sein wie bisher. Die Notstandsregelungen werden in einigen Ländern wie Frankreich immer länger, also wird hier kaum an normalen Tourismus zu denken sein. Wir wissen auch noch nicht, wie Hoteltourismus dieses Jahr bei uns oder in Deutschland ausschauen wird – die veröffentlichten Regeln von Mecklenburg-Vorpommern klingen nicht unbedingt nach entspanntem Urlaub.
Wie verändert sich das Reiseverhalten?
Kneissl-Neumayer: Die Zurückhaltung bei Reisen – vor allem aus nicht abschätzbaren Gesundheitsrisiken – wird ein bis zwei Jahre anhalten. Aber wieso sollte danach die Lust am Reisen gebrochen sein, warum sollte eine Art neues Biedermeier die Leute zu Hause halten? Es gibt klare Gründe, warum man jetzt nicht reisen kann – danach werden unsere Kunden wieder sehr gerne reisen. Viele Kunden wollen eine klarere Abschätzung der Risiken und dann erst reisen. Und so wird es in allen anderen Bereichen sein. Balkonien wird nicht einen Strand oder einen Aktivurlaub oder eine Kreuzfahrt ersetzen können.
Was planen Sie für den Sommer 2020?
Kneissl-Neumayer: Wir haben – in Ermangelung von Informationen zu einer wieder beginnenden Reisefreiheit – ein Programm für diesen Sommer in Österreich vorgestellt, das klassische historische Studienreisen und Wanderreisen verbindet. Ob der Kunde das schätzt, kann ich nicht sagen, weil es erst seit vergangenen Donnerstag veröffentlicht ist, aber erste Buchungen sind bereits da. Ich schätze, dass zusätzlich zu den Musikreisen, die wir immer in Österreich durchgeführt haben, zwei bis vier Reisen auch in den nächsten Jahren im Programm sein werden.
Besser fliegen oder doch mit dem Bus in den Urlaub fahren?
Kneissl-Neumayer: Flüge gibt es mittlerweile, hier wird die Maske getragen, ohne Plätze auszulassen. Wir reisen normalerweise mit Gruppen von rund 20 bis 25 Personen – in einem Bus mit 40 bis 50 Sitzplätzen ist sicherlich genug Raum zwischen den Kunden gegeben. Wir verwenden bei Studienreisen Kopfhörer, auch damit muss man nicht „aufeinander kleben“. Die Reisen sind für August und September geplant, in der Zwischenzeit kann sich auch hier noch etwas zum Angenehmeren wenden.
Sie bieten für Herbst 2020 Auslandsreisen an. Das kann doch nur ein Scherz sein?
Kneissl-Neumayer: Nein, gar nicht. Wir haben letztes Jahr im November wie alle Veranstalter Kataloge für das gesamte Jahr 2020 vorgestellt. Niemand weiß, welche Länder sich gut, welche weniger gut entwickeln werden. Ich hoffe, dass eine mögliche beginnende Reisefreiheit zum Beispiel auch Länder wie Israel oder Jordanien berücksichtigt – oder Marokko oder Namibia, die kaum Corona-Infizierte haben beziehungsweise extrem schnell auf die Situation mit einem Lockdown reagiert haben. Genauso in Asien – zum Beispiel Vietnam, Thailand oder Südkorea. Auch Kanada oder Mexiko haben rasch und sinnvoll reagiert. Aber dies wird alles von politischen Entscheidungen hier und dort abhängig sein – bei Reisewarnung Stufe 6 kann ich nicht reisen, auch nicht bei einer notwendigen Quarantäne von 14 Tagen bei Einreise.
Sie raten Kunden dazu, geplante Reisen nicht abzusagen, sondern zu verschieben. Warum?
Kneissl-Neumayer: Unsere Kunden können in den Herbst oder in das nächste Jahr verschieben – sehr viele der Reisen für 2021 sind bereits im Internet angelegt und sichtbar. Innerhalb eines Jahres ist die Hoffnung auf die Entwicklung eines Medikaments eindeutig besser. Der Großteil der Kunden will das Geld zurück, circa zehn Prozent buchen um.
Welche Reisen haben Zukunft?
Kneissl-Neumayer: Ich denke, dass jeder Sektor überleben wird – wieso sollten Badeurlauber in Zukunft nur mehr an den Wörthersee fahren? Oder keine Kreuzfahrten mehr unterwegs sein? Ich denke, dass minimales Umdenken bei Destinationen beginnen wird, die auch per Bahn gut erreichbar sind. Dass man sich bewusst für eine ökologisch vernünftige Bahn-Anreise entscheiden wird, anstelle eines Kurzstreckenflugs. Aber dazu bedarf es guter Bahnverbindungen. Selbst in Österreich ist eine gute Bahnanbindung von Graz und Klagenfurt und Innsbruck nach Wien nicht gegeben, auch nicht zum Flughafen München. Diese Inlandsflüge werden meiner Ansicht nach als Erstes wegfallen.