Zlin, Walachen und ein König

Zlin

Am Rande der tschechischen Walachei, an der mährischen Grenze, dort wo das Bergland in fruchtbare Weiden übergeht, liegen die Bata-Schuhstadt Zlin und das ehemalige k.u.k. Bad Luhatschowitz.

Seit dem 16. Jahrhundert gibt es nicht nur im Süden Rumäniens eine Walachei, sondern auch im mährisch-slowakischen Grenzgebiet, im Bereich der Beskiden und Weißen Karpaten. Entstanden ist der Name (tschechisch: Valasko) nachdem die Walachen, ein Hirtenvolk aus den rumänischen Karpaten, hier einwanderten.

Meyers Konversationslexikon aus dem Jahre 1930 vermerkt hinzu: „ … aber längst tschechisiert sind.“

Nähert man sich der „Walachei“ über Zlin oder Ungarisch Brod (= Furt; Uhersky Brod) oder Bad Luhatschowitz (Lacne Luhacovice), dann wird man stets im Gespräch mit der einheimischen Bevölkerung aufmerksam gemacht, dass man sich in einem Königreich befindet: „Königreich Walachei“. Ein Spaß, der schon etliche Jahre Tradition hat: Die Walachen, stets unabhängig in den vergangenen Jahrhunderten der Donaumonarchie, haben in den letzten Jahren nach der „samtenen Revolution“ einen „König“ gewählt: Einen Schauspieler der mit seiner Gattin in den walachischen Dörfern Hof hält und bei diversen Gelegenheiten Feste feiern lässt. Der Tourist kann auch hier in den Geschäften oder Informationsstellen des Fremdenverkehrs einen walachischen „Pass“ erwerben, ein lustiges Souvenir oder Mitbringsel für Freunde.

Es ist aber nicht nur Spaß, wenn der „König der Walachen“ Hof hält, sondern hat auch einen tieferen Sinn, nämlich das Hochhalten der Volkskultur. Diese Kultur wird einerseits in den fantastischen Freilichtmuseen wie zum Beispiel Valasske Muzeum in Roznov lebendig erhalten, andererseits lebt sie auch weiter in der speziellen Architektur wie sie in Europa in ihrer bürgerlich-bäuerlichen Form nur in der Walachei und in den anschließenden Beskiden anzutreffen ist.

Dank des k.u.k. Architekten Dusan Jurkowitsch aus Oberungarn (1868 – 1947), Schüler von Otto Wagner, findet man diese Architektur – indem er Ende des 19. Jahrhunderts diese Volkskultur in seinen Villen und Bäderbauten verewigte – nicht nur im bäuerlichen Raum. Das beste Beispiel hiefür bietet Lacne Luhacovice; hier erbaute er in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts das sogenannte „Jan-Haus“, ein Gesamtkunstwerk von der Türschnalle bis zur Regentraufe. In einer Zeit, in der das Kurbad ein Aushängeschild für eine Architektur, angesiedelt zwischen Jugendstil und bäuerlicher Volkskultur, wurde. Neben dem Jan-Haus entstanden auch eine öffentliche Badeanlage und mehrere Villenbauten.

Die erste Erwähnung der Luhatschowitzer Mineralquellen stammt vom Brünner Physikus und Arzt Johann Ferdinand Hertod von Todtenfeld. Im Jahre 1669 veröffentlichte er eine Schrift über die chemische Zusammensetzung des örtlichen Wassers. Die Berichte über die Heilkraft des Wassers hatten zur Folge, dass 1790 der erste Kurbetrieb mit natürlichen Mineralbädern in Holzzubern mit Kabinen errichtet wurde. Um die Entstehung des Kurbades hat sich das Adelsgeschlecht der Serenyi verdient gemacht. Nach der ersten Phase ließ hier Graf Vinzenz Ende des 18. Jahrhunderts bereits eine feste Heilanstalt mit Bettenhäusern bauen.

Wenige Jahrzehnte später wurden die damals bekannten Heilquellen von Graf Johann Serenyi mit den Vornamen der Angehörigen seines Geschlechtes benannt, Namen, die die Quellen auch heute noch tragen. Zu einer Blüte des Bades verhalf nach 1902 die Gründung der Aktiengesellschaft Bad Luhacovice, wobei nach dem Ende des kommunistischen Regimes 1992 durch die neue Aktiengesellschaft Lacne Luhacovice a.s. an die alte Tradition angeknüpft wurde.

Jurkowitsch, für den Großteil des Aussehens des Kurortes verantwortlich, wurde nach Vollendung seines bekanntesten Villenbaues im Jahre 1902 (Chaloupka), vor allem im Osten der Monarchie tätig. Er kehrte nach Mähren erst wieder nach dem ersten Weltkrieg zurück, als er in Zlin den französischen Architekten Le Corbusier traf, der auf Wunsch des Schuhkönigs Tomas Bat`a die Schuhstadt zu einem Denkmal für Industrie und Zweckarchitektur machte. Der in der Vergangenheit über Jahrhunderte eher unbedeutende Ort Zlin hat seinen Aufstieg zur „Großstadt“ (heute mehr als 90 000 Einwohner) dem Gebrauchsartikel „Schuh“ zu verdanken. Im Volksmund wurde der Kreis Zlin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch als „Land der Schuhe“ bezeichnet.

Im Jahre 1894 begann Tomas Bata (1876 – 1932), Sohn eines Schuhmachers, am Marktplatz des Städtchens Zlin mit der Produktion von leichten walachischen Leinenschuhen, den Batoföky (daraus entstand unser Ausdruck „Patschen“). In Kürze schon stellte Bata seine Schuhe fabriksmäßig her, mechanisierte die Produktion zum Fließbandverfahren nach amerikanischen Vorbild und beteiligte sämtliche Mitarbeiter am Gewinn des Unternehmens. Er strebte nach völliger Unabhängigkeit: Er besaß bäuerliche Betriebe und Farmen für die das Leder liefernden Tiere, eine eigene Lederverarbeitung, Maschinenfabriken und sämtliche für die Produktion notwendigen Zulieferfirmen. In nur wenigen Jahren entstand in Zlin die größte Schuhfabrik der Welt. Während des ersten Weltkriegs lieferte Bata das Schuhwerk für das gesamte Heer der k.u.k. Monarchie, ein mehrstelliger Millionenauftrag.

Als Tomas Bata 1932 bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe von Zlin ums Leben kommt, sind in seinem Werke 23 000 Menschen tätig, die täglich 176 000 Paar Schuhe erzeugen. Nach der Verstaatlichung der Bata Werke leitete der Bruder von Tomas Bata, Antonin (1898 – 1965), die ausländischen Niederlassungen des Schuh-Imperiums von Brasilien aus. Heute sind die Bat`a Werke in Zlin noch immer verstaatlicht in tschechischem Besitz. Ursprünglich wollten die Erben des Firmengründers wegen der völlig veralteten Anlagen von der Regierung nichts zurück haben und errichteten vor einigen Jahren in der Nähe von Zlin ein eigenes Werk unter dem Firmenlogo von Bata.

Bata war bis zum Ende des zweiten Weltkriegs für die dort Beschäftigten nicht nur eine Lebensgrundlage sondern auch eine Lebensphilosophie. Sie wohnten in eigenen von der Firmenleitung gebauten Häusern und bekamen jährlich einen finanzierten Urlaub – eine Sensation für Dienstnehmer in den 30er Jahren – oder einen Kuraufenthalt in Bad Luhacovice.

Das mächtige wolkenkratzerartige Direktionsgebäude beherbergt nunmehr die Stadt- und Kreisverwaltung von Zlin. Als Kuriosum kann heute noch das Büro von Tomas Bat`a besichtigt werden: Es war in einem Lift untergebracht, so konnte der Firmenchef im Direktionsturm jeweils von einer Abteilung zur anderen fahren, ohne seine Mitarbeiter zu sich bitten zu müssen. Dem Firmengründer und der Region wurde mit der Errichtung eines Schuh- und Bata-Museums in der Stadt Zlin ein Denkmal gesetzt.

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